Mittwoch, 27. Oktober 2010

Madras. Dasshera, Kolu, Navrati. Das Puppen-Fest im Oktober hat in ganz Indien verschiedene Namen. Geehrt wird die Göttin Devi und gefeiert der Sieg des Guten über das Böse. Die neuntägigen Feierlichkeiten läuten die hinduistische Partysaison ein, die pünktlich mit dem Monsoon, der Regenzeit, beginnt.

Was auf den ersten Blick so aussieht wie eine weihnachtlich dekorierte Auslage in einem Spielzeuggeschäft ist ein Kolu. Das meist pyramidenartig aufgebaute Regal beherbergt eine Sammlung kunterbunter Götterfiguren und Puppen aller Art und Abstammung. Die meisten sind hinduistischen Götter und ihre Avatare - das sind Erscheinungsformen derselben, die nicht immer menschenähnlich daherkommen, sondern auch mal einen Löwen- oder Elefantenkopf, blaue, gelbe oder tiefschwarze Haut haben und immer bunt gekleidet sind. Eigentlich ist ein Kolu das Abbild eines südindischen Hindutempels, auf dem dicht an dicht bunte Götter- und Heiligengestalten herumsitzen.  

Damit diese Kunstwerke, für die manchmal ein komplettes Wohnzimmer ausgeräumt wird, auch die ihnen gebührende Bewunderung erfahren, sind Familienmitglieder, Freunde und Arbeitskollegen eingeladen.

Wir sind gleich bei drei verschiedenen Familien zu Gast und gespannt auf unser erstes Puppenfest. Mahesh, ein IT-Fachmann und seine Frau Susanna haben ein Buchregal umfunktioniert. Es gibt etliche  elefantenköpfige Ganesh-Figuren mit einem Laptop und einen heiligen Mann mit Handy. Die Christin Susanne hat keine Probleme, den Kolu ihres hinduistischen Mannes mit einer Krippe zu dekorieren.

Später kommt Uma dazu. Mahesch arbeitet für ihre Firma. Sie hat ihre zwei Pflegekinder mitgebracht, Waisen-Mädchen aus Tibet, die innerhalb eines Hilfsprojekts in Indien ausgebildet werden. Sie wirken ein wenig schüchtern, da sie weder Englisch noch die Landessprache Tamil sprechen. Als Uma sie jedoch bittet für uns zu singen, stimmen sie freudig zu. Sie haben ein tamilisches Lied auswendig gelernt und tragen es vor ohne Instrumentalbegleitung.

Unsere nächste Station ist der Kolu von Vatshela. Si ist Deutschlehrerin. In ihren Regalen stehen antiquarische Bücher und moderne - in deutscher, englischer Sprache und auf Hindi. Ihre Tochter, mit der sie ihren Kolu aufgebaut hat, spricht perfekt Japanisch. Zwei Sprachtalente, wie man sie in Indien häufig findet, denn hier gibt es über 20 offizielle Sprachen und Hunderte von Dialekten, von denen jeder Inder im Durchschnitt zwei beherrscht, zusätzlich zur Englischen Sprache. Während wir ihren Kolu bewundern, strömen immer wieder Gruppen von Frauen herein. Sie grüßen, setzen sich und schweigen meistens - ich habe den Eindruck ein wenig ehrfürchtig - vor uns westlichen Gästen. Nach einer halben Stunde geht man wieder, nicht ohne eine Gabe erhalten zu haben. Eine Kokosnuss, Betelblätter und ein paar Knabbereien sind immer dabei. Eine ehemalige Hausangestellte bekommt ein Geldgeschenk und eine neue Sari-Bluse. Das sei das Besondere an diesen Geschenken, jeder würde genau das erhalten, was er gerade nötig habe, sagt Vatshela.

Am dritten Tag besuchen  wir Gheeta und ihre Familie. Ihr Mann arbeitet als Wissenschaftler an einem Lederinstitut. Die Angestellten der Firma wohnen inmitten eines Parks. Der Fahrer unserer Autorickshaw hat Probleme, das richtige Haus der Venderamans zwischen den großen, tropischen Bäumen zu finden. Nach langer Diskussion mit zwei Anwohnern und etlichen Telefonaten mit den Gastgebern kommen wir endlich ans Ziel.

Vor der Haustür zwischen geparkten Motorrädern schlummern seelenruhig Hundewelpen, die nichts aus der Ruhe bringen kann, obwohl ihre Mutter nicht zu sehen ist. Drinnen erwarten uns bereits Gheeta, ihre Tochter und ihr Mann und ein ganzes Kolu-Zimmer, das die beiden Frauen hergerichtet haben. Die über 250 Figuren und Spielzeuge haben sie im Stadtteil Mylapore rund um den dortigen Tempel zusasmmengekauft oder geschenkt bekommen. Ein Modell der Berliner Mauer und des Eifelturms - beides Urlaubsandenken - sind ebenso nahtlos integriert wie eine Kindereisenbahn und ein Spielzeug-Parkhaus.

Auch im Hause Venderaman gibt es Musik. Gheeta spielt etwas typisch Südindisches auf einer einer Art überdimensionaler Mandoline, genannt Vina. Die Töne klingen für unsere Ohren fremd und wir können nicht beurteilen, ob Gheeta "nicht so besonders gut spielt", wie sie selbst behauptet. Jedenfalls passt die Melodie zu der Atmosphäre und wir genießen es. Derweil zeigt uns ihr Mann auf unser Bitten, wie man mit einem einfachen Holzgerät Kokosnüsse ausschabt. Zwischen die Füße geklemmt und losgeraspelt. Was eigentlich ganz einfach aussieht und in jeder indischen Küche zum Standard gehört. Wir hatten bereits mehrere Koskusnüsse geschenkt bekommen und wußten nie, wie wir sie verarbeiten sollen. Jetzt soll das eigentlich kein Problem mehr sein.

Wir merken gar nicht, wie die Zeit vergeht und stellen erschreckt fest, dass wir unseren Kolu-Besuch schon über Gebühr ausgedehnt haben. In Indien nimmt man es damit recht genau. Neulich hatte eine deutsche Festgesellschaft es auf drei Uhr morgens in einem Hotel gebracht. Der Hotel-Manager hat sich daraufhin beim Gastgeber beschwert. Denn wie bei allen indischen Festen gilt: Man trinkt und redet in gemütlicher Runde vor dem Essen, nimmt dann das Abendessen zu sich und geht danach sofort wieder. Also los jetzt, wir brechen auf!

Draußen vor der Tür schlummern immer noch die Welpen im Licht der Türlampe. Wir rufen unsere Autorickshaw und freuen uns, dass der Monsoon gerade Pause hat. Nach zähen Verhandlungen um den Fahrpreis bringt und die Rickshaw zurück nach Hause.

Text und Fotos: Senya Müller